Naturwissenschaft und Glaube

Pater Pirmin Suter, studierter Biologe, im Unterricht

Die Naturwissenschaften werden in modern eingerichteten Räumen unterrichtet. Das Spannungsfeld zwischen Theologie, Philosophie und Naturwissenschaften ist eine Herausforderung, der wir uns bewusst stellen. Wir sind überzeugt, dass es für einen Katholiken keinen Widerspruch zwischen diesen Wissenschaften geben kann.

Es gibt nur eine Gesamtwirklichkeit, die je nach Wissenschaft auf unterschiedliche Weise beleuchtet wird. Die Theologie stützt sich auf die göttliche Offenbarung, also auf die Rede Gottes an die Menschen, die in der Heiligen Schrift, der Überlieferung und Lehrverkündigung der Kirche ihren Nie­derschlag gefunden hat. Die Philosophie dagegen stützt sich auf die menschliche Vernunft, um etwas über Gott, den Sinn und das Ziel des Lebens sowie über die Schöpfung zu erfahren. Während der Philosoph die Gesamtwirklichkeit vor Augen hat und eher qualitativ nach den letzten Ursachen forscht, beschränkt der Naturwissenschaftler seinen Blick auf einen Ausschnitt der Gesamtwirklichkeit und will eher quantitativ die näheren Ursachen ergründen. Scheinwidersprüche entstehen dann, wenn eine dieser Wissenschaften irrt oder ihre Grenzen überschreitet.

Es wäre zum Beispiel unwissenschaftlich, Gott als mögliche Erstursache für die Entstehung des Lebens auszuschliessen, zumal die Naturwissenschaften keine alternative Erstursache beweisen können. Andererseits mahnt Papst Pius X. (1835-1914), dass zum Beispiel die Zeiträume im Schöpfungsbericht nicht wörtlich zu verstehen sind, wie es manche Kreationisten tun: „Obwohl er das ganze grosse Werk in einem einzigen Augenblick hätte vollenden können, wollte er dazu doch sechs Zeiträume verwenden, welche die Heilige Schrift Tag nennt.“1 Auch Thomas von Aquin (1225-1274) betont dies und beruft sich dabei auf den Kirchenlehrer Augustinus (354-430): „Augustinus nämlich will, dass in der Unterscheidung der Dinge (in den ersten drei Tage) keine zeitliche Ordnung anzunehmen ist, sondern eine Ordnung der Natur und der Lehre… Auf diese Weise soll die Schrift erklärt werden, dass sie von den Ungläubigen nicht verspottet werde.“2 Der Nobelpreisträger Robert Andrews Millikan (1868-1953) formuliert die Problematik treffend: „Leute, die wenig von Wissenschaft verstehen, und Leute, die wenig von Religion verstehen, mögen sich einmal streiten, und die Zuschauer mögen denken, da streiten sich nun Wissenschaft und Glaube, während es sich nur um einen Zusammenstoss zwischen zwei Arten von Unwissenheit handelt.“3 

Das Lehramt der katholischen Kirche: 

1. Vatikanisches Konzil (1870): „Aber auch wenn der Glaube über der Vernunft steht, so kann es dennoch niemals eine wahre Unstimmigkeit zwischen Glauben und Vernunft geben: denn derselbe Gott, der die Geheimnisse offenbart und den Glauben eingiesst, hat in den menschlichen Geist das Licht der Vernunft gelegt; Gott aber kann sich nicht selbst verleugnen, noch jemals Wahres Wahrem widersprechen. Der unbegründete Anschein eines solchen Widerspruchs aber entsteht vor allem daraus, dass entweder die Lehrsätze des Glaubens nicht im Sinne der Kirche verstanden und erläutert wurden oder Hirngespinste für Aussagen der Vernunft gehalten werden.“4 

Papst Leo XIII. (1893): „Sicherlich wird zwischen dem Gottesgelehrten und dem Naturforscher kein wahrer Zwiespalt eintreten, wenn nur beide innerhalb ihrer Grenzen verbleiben, in dem sie nach der Mahnung des hl. Augustinus sich davor hüten, dass sie etwas ohne Grund behaupten und das unbekannte als bekannt ausgeben… In allen Fällen, wo die Gelehrten ihre Behauptungen über die Natur der Dinge durch stichhaltige Gründe beweisen können, wollen wir zeigen, dass dieselben mit unseren heiligen Schriften nicht in Widerspruch stehen. Sooft sie aber in irgendeinem ihrer Werke, eine unseren Schriften, das heisst eine dem katholischen Glauben widersprechende Behauptung vorbringen, so wollen wir, wenn irgendwie die Möglichkeit dazu besteht, aufzeigen, dass dieselbe grundfalsch ist… die heiligen Schriftstellen wollten statt direkte Naturforschung zu betreiben, die Dinge manchmal lieber auf bildliche Weise beschreiben und behandeln, oder auch so, wie es die allgemeine Ausdrucksweise in jener Zeit mit sich brachte… Daher muss man bei ihren Auslegungen sorgfältig unterscheiden, was sie in der Tat als zum Glauben gehörend oder engstens mit ihm verbunden lehren und dies in einmütiger Übereinstimmung vortragen.“5

Aus Sicht der Scholastik: 

Thomas von Aquin (1225-1274): „Auch ist die Betrachtung der Geschöpfe nicht allein zur Unterweisung in der Wahrheit notwendig, sondern auch, um Irrtümer auszuschliessen. Denn Irrtümer über das Geschaffene führen bisweilen von der Wahrheit des Glaubens ab, sofern sie der wahren Gotteserkenntnis widersprechen.“6

Josef Pieper (1904-1997) begründet die Widerspruchslosigkeit zwischen Naturwissenschaft und Theologie damit, dass es nur eine Gesamtwirktlichkeit gibt. „Verknüpfung von Glauben und Wissen: das heisst also im Grunde so viel wie diese beiden Wirklichkeitsbereiche zusammendenken – einesteils das Allgesamt der geschaffenen Dinge, die der natürlichen Erkenntnis vor Augen liegen [was noch nicht besagt, dass wir sie jemals begreifen]; andernteils die uns in der offenbarenden Rede Gottes, das heisst im Glauben erschlossene Wirklichkeit…“7

  • 1. Kompendium der christlichen Lehre, Wien 1981, S. 333.
  • 2. Thomas von Aquin. 2 Sent 12,1,2,corp
  • 3. Vgl. Robert Millikan, Evolution in Science and Religion (1928). Port Washington. NY. Kennikat Press. 1973. zitiert nach: Dieter Hattrup, Gottesbekenntnisse großer Naturforscher. S. 32. Robert Millikan (1868-1953) war ein amerikanischer Physiker und erlangte 1923 den Nobelpreis für seine berühmten Öltröpfchen-Experimente. 
  • 4. Erstes Vatikanisches Konzil, 3. Sitzung, 1870 (DH 3017).
  • 5. Papst Leo XIII. Providentissimus Deus vom 18. November 1893.
  • 6. 4Thomas von Aquin, Summa contra Gentes, 2,3
  • 7. Pieper Josef, Scholastik. München 1998. S. 161.
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